500 Jahre Reichstag zu Worms  (von Hans-Josef Broich)

(Quellenhinweis Beitragsbild Foto: epd bild)

Martin Luther verweigert Widerruf

Neben Wittenberg gilt vor allem Worms als eine der bekanntesten Wirkungsstätten des Reformators. Gerade mal 10 Tage verbrachte Martin Luther in der Nibelungenstadt am Rhein, doch diese 10 Tage voller Wagemut blieben nicht ohne Wirkung, sie machten Weltgeschichte.

Erinnert sei an die Bildungsreise der Ev. Kirchengemeinde Erkelenz „Auf Luthers Spuren“ im Oktober 2016, die uns u.a. auch nach Worms führte

Da versammeln sich 1521 die drei geistlichen und vier weltlichen Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die übrigen Reichsfürsten und geistlichen Fürsten sowie Reichsgrafen, Reichsfreiherren, Reichsprälate und die Reichsstädte zu einem sogenannten Reichstag. Und das geschieht in Anwesenheit des erst vor zwei Jahren gewählten neuen deutschen Kaisers, Karl V., der 1500 in Gent (im heutigen Belgien) geboren in den damaligen Spanischen Niederlanden aufwuchs. Der Reichstag von 1521 in Worms, der vom 27. Januar bis zum 26. Mai dauerte, sollte in besonderer sein, befasste er sich doch auch mit den Thesen eines Theologieprofessors aus dem entlegenen Wittenberg im damaligen Kurfürstentum Sachsen, mit denen dieser die Missstände der römischen Kirche offen ansprach, einer Kirche, die über viele Jahrhunderte eine unangefochtene Machtposition innehatte und sich durch Korruption, Habgier und Machtmissbrauch immer mehr selbst zerfraß. Fast drei Monate nach Eröffnung des Reichstags wurde in Worms auch die causa Lutheri verhandelt.

Martin Luthers neue Lehrsätze zur Erneuerung der Kirche, in deren Zug nicht nur die Kirche in Deutschland, sondern in ganz Europa umgepflügt werden sollte, konnte der junge Kaiser nicht unbeantwortet lassen.

Für viele Menschen im 21. Jahrhundert, fehlt, so glaube ich, das Verständnis dafür, dass auf dem politischen Forum eines Reichstags theologische Fragen und insbesondere der über Martin Luther verhängte Kirchenbann diskutiert werden mussten. Aber seit dem 4. Jahrhundert existierte die besondere Verflochtenheit von Reich und Kirche, von Thron und Altar, die sich in der sakralen Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ niedergeschlagen hat. Die Einheit des Reiches, so wurde es gesehen, basierte auf der Einheit des Glaubens. Ist die Einheit des Glaubens gefährdet, so gilt dies auch für die Einheit des Reiches. Reichsacht und Kirchenbann waren aufeinander abgestimmt, um die politisch-religiöse Einheit des Reiches vor allen Bedrohungen zu schützen.

Wäre es nach den geistlichen Fürsten des Reiches gegangen, so wäre schon längst mit Luther kurzen Prozess gemacht worden. Das übliche Prozedere wären die Verbrennung Luthers Schriften, die Festnahme des Ketzers Luther und dessen Überstellung nach Rom gewesen Aber dagegen hatte sich die Mehrheit der deutschen Fürsten gewehrt, allen voran Luthers Landesherr Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Nachdem im Januar 1521 mit der Bannbulle „Decet Romanum Pontificem“ das definitive Ketzerurteil über Luther vorlag, arbeitete die kursächsische Administration fieberhaft an der Möglichkeit, Luther innerhalb des Reichs verhören zu lassen, um die dem Bann folgende Reichsacht zu vermeiden, mit der Martin Luther für vogelfrei erklärt würde. Friedrich war es zu verdanken, dass Luther für 21 Tage freies Geleit und Sicherheit zugestanden wurde und dass der Kaiser in seinem Vorladungsschreiben für den Wormser Reichstag vom 06.03.1521 Martin Luther mit einer überaus höflichen und galanten Anrede „Ehrsamer, Lieber, Andächtiger“ anspricht. Am 26.03., in der Osterwoche, erreicht die Vorladung Martin Luther. Am 02. April macht sich die Reisegesellschaft mit Martin Luther von Wittenberg aus auf den Weg nach Worms. Dort erscheint Luther ungeachtet der theologischen Einwände gegen die heilsmäßige Notwendigkeit des Mönchsstandes in der Kutte des Augustinerordens.

Hier in Worms vor dem Reichstag sollte Luther seine Ansichten und Schriften, u.a. zum Ablasshandel, nach dem Willen von Kirche und Kaiser widerrufen. Die Anhörung Luthers vor dem Reichstag dauerte zwei Tage (17. und 18. April). Seine wortwörtlich festgelegte Rede zur Rechtfertigung seiner Lehre hält Martin Luther zunächst auf Deutsch und danach – der Kaiser war der deutschen Sprache nur sehr bedingt mächtig – in lateinischer Sprache. Die Worte sind wohl und genau überlegt, kein Produkt des Zufalls, alles andere als impulsiv und improvisiert. In ihrem ersten Teil ist die Rede erstaunlich höflich und geschickt abgefasst, wird zwar emotional vorgetragen, aber noch sehr zurückhaltend. Mit zunehmender Redezeit – besonders am zweiten Tag – wird Luther deutlicher und schärfer in seiner Argumentation, seine Rechtfertigung wirkt jetzt entschiedener und souveräner. Selbstbewusst bekennt er sich zu seinen Schriften, für die er die alleinige Verantwortung übernimmt. Er beendet seine Verteidigung wie folgt: „Und solange mein Gewissen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann ich und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen“

„Gewissen in Gottes Wort gefangen“ meint: Sein Gewissen war nicht zu bewegen oder zu verändern, Luther wusste mit seiner ganzen Existenz – Gefühl und Geist -, was Gottes Wort war, und er konnte es nicht verleugnen. In Worms ist Gottes Wort am Werk gewesen, eine Autorität, die alle Kaiser und Fürsten in den Schatten stellt. Luthers „Nein“ ist das Nein vor Kaiser und Reich

Die Wittenberger Druckerwerkstatt Luthers spitzte den ihr zugespielten Redetext genial zu und erweiterte ihn wie folgt: „Ich kann nicht anders. Hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen“. So gelangte Luthers Schlusssatz mittels einer Flugschrift unter das Volk, und in dieser kampflustigen und wehrhaften Fassung wurde das Lutherwort im deutschen Protestantismus von Generation zu Generation weitergegeben. Mit diesen Worten gewann der Auftritt Luthers in Worms welthistorische Bedeutung, weisen doch die gegen die Autorität der Kirche gerichtete Berufung auf die Vernunft und das durch die Schrift gefangene Gewissen in eine Zeit voraus, die erst mit der Aufklärung kommen sollte.

Dieses existentielle „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ gilt aber auch für den jungen Kaiser. Die Unbedingtheit galt für Karl den V. einmal psychologisch aufgrund seiner Erziehung (seine Religiosität konnte ja keine andere sein als die katholische seiner Vorfahren), und ferner politisch, weil er nur auf Basis einer stabilen Einheit der Christenheit im Zeichen des römisch-katholischen Glaubens seine politischen Pläne in diesem riesig großen Habsburgerreich realisieren konnte, in dem die Sonne nicht unterging. Die Begegnung des 21jährigen Kaisers mit dem 37jährigen Reformator war der Zusammenprall zweier Universen.

Martin Luther reiste am 26. April wieder ab in Richtung Heimat und durchfuhr das gleiche Stadttor an der Martinspforte, welches er 10 Tage zuvor passiert hatte. Sogleich wurden im Reichstag Ausfertigung und Publikation des Verdammungsedikts vorbereitet: Auf die Widerrufsverweigerung Luthers folgte das Wormser Edikt, mit dem die Reichsacht verhängt wurde. Es wurde am 08. Mai erlassen, und zwar als solches des Kaisers als Reichsoberhaupt, und nicht des Reichstages. Öffentlich verlesen wurde es erst am 24. Mai und zwei Tage später vom Kaiser unterschrieben.

Zu diesem Zeitpunkt war Luther längst in Sicherheit. Auf seiner Rückreise wurde er „entführt“. Aber es war ein abgekartertes Vorgehen seines Landesfürsten, Friedrichs des Weisen, und geschah Anfang Mai 1521 in der Nähe der Burg Altenstein bei Schweina, heute ein Ortsteil der Stadt Bad Liebenstein im Thüringer Wartburgkreis. Friedrichs Fürsorge kam in rüder Form. Für rund 10 Monate (bis Anfang März 1522) befand sich Martin Luther gezwungenermaßen auf der Wartburg in Eisenach, auf kursächsischem Boden. Hier übersetzte er als Junker Jörg in der erstaunlich kurzen Zeit von knapp 70 Arbeitstagen (beginnend Mitte Dezember 1521) das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Diese Bibelübersetzung Luthers war und ist für den gesamten Denk- und Sprachraum des deutschen Volkes von einzigartiger Bedeutung. Sie ist zum Geschenk für die ganze Christenheit geworden.

10 Tage wagemutig in Worms, 10 Wochen auf der Wartburg und die weiteren Impulse aus Wittenberg – wegweisend und weichenstellend für die Gesamtheit der Christen, wirkungsmächtig in Deutschland und der ganzen Welt.

Ihr Hans-Josef Broich